Viele altgediente Lehrer möchten in der Preaxis mehr Einfluss nehmen auf die zukünftigen Lehrer. Doch die PH`s lassen nicht mit sich reden. In jeder Praktikumslehrerweiterbildung wird dieses Thema heiss diskutiert; ohne Erfolg. Die Dozenten und Mentoren lassen uns Praktikumslehrer immer wieder spüren, dass wir erst an zweiter Stelle stehen, dass die Theorien viel wichtiger seien als unsere "bodenständige" Praxis.
Ich denke dies ist mit ein Grund, weshalb sich immer weniger Lehrer für die Ausbildung zur Verfügung stellen.

Und Zeit haben dazu...

Zeit, um lernende Lehrpersonen fachlich und menschlich zu begleiten.

Zeit, um Kinder und Jugendliche individuell zu fördern, eine Beziehung mit ihnen und ihren Eltern zu pflegen, auf ihre persönlichen Bedürfnisse einzugehen, ja diese zu erkennen.

Zeit, um junge Menschen im Berufsfindungsprozess zu begleiten, beraten, unterstützen und motivieren.

Zeit, um unseren Unterricht zu planen, vorzubereiten, zu reflektieren, qualitativ zu überprüfen, mit Heilpädagogen zu koordinieren, in Beurteilungsdossiers zu dokumentieren, und durch Intervision und Supervision zu optimieren.

Zeit um Schülerarbeiten zu korrigieren, benoten, nachbesprechen - um Projektwochen und Klassenlager zu planen, rekognoszieren, finanzieren, durchzuführen und abzurechnen - um Schulsportveranstaltungen, Schneetage und Schulsylvesterpartys zu organisieren.

Zeit, um uns selber neu aus- und weiterzubilden, weil unsere Erfahrung, unser Fachwissen und unsere Sprachkenntnisse nicht mehr genügen. Weil neue Lehrmittel herausgegeben werden, die ein erfahrener Pädagoge ohne Anleitung durch Experten wohl nicht zu gebrauchen versteht.

Zeit, um neue Fächer, Lebenskundethemen, Zeiterscheinungen, Gesellschaftsprobleme und Gefahren für Kinder und Jugendliche in unser Unterrichtsprogramm aufzunehmen.

Zeit, um uns bei der Schulentwicklung und Teamarbeit einzusetzen.

Zeit, um in Kapitelsversammlungen und Schulkonferenzen mitzureden.

Zeit, um umfangreiche Schülerbeurteilungen und Portfolios zu erstellen, natürlich gerecht und möglichst objektiv.

Das alles und noch viel mehr in soundsoviel Jahresarbeitsstunden, festgelegt im neuen Lehrerberufsauftrag. Und wenn wir dazu mehr Zeit benötigen, dann muss es an unserer mangelnden Arbeitseffizienz oder an unserem übertriebenen Perfektionismus liegen.

Und sind wir ineffizient oder wollen wir unsere Arbeit gut machen, so bleibt uns eben sonst keine Zeit mehr:

Keine Zeit, um uns selber fit und gesund zu erhalten.

Keine Zeit, um in der Gemeinde und Politik aktiv und engagiert mitzuwirken.

Keine Zeit, um unseren Familien und persönlichen Beziehungen Sorge zu tragen.

Auch wenn das von uns erwartet wird, selbstverständlich, denn das sind ja die Voraussetzungen, die es uns erst ermöglichen, gute Lehrer zu sein. Solche, die Stress ertragen, die Verständnis zeigen, die Geduld haben und in schwierigen Situationen richtig reagieren, aufbauend kommunizieren, im Team gut zusammen arbeiten, in Krisen sachlich handeln, mit Kritik umgehen können, Einfühlungsvermögen haben, natürliche Autorität, den richtigen Ton, Kreativität und Humor.

Wir können und wollen junge Lehrer in ihrer Ausbildung unterstützen, aber wenn uns die Zeit und die Kraft fehlt, dann können wir noch lange wollen. Doch wir können nicht, nicht weil wir nicht wollen, sondern weil wir nicht können. Was sollen wir noch alles wollen können, wenn wir nicht einmal können, was wir schon sollen, und schon gar nicht, was wir sonst noch wollen?

Wenn wir einfach unsere Arbeit machen könnten, nach bestem Wissen und Gewissen, und dabei intuitiv auf die Kinder eingehen und sie menschlich begleiten dürften, so wie wir es gelernt haben, dann wären wir durchaus im Stande, auch lernende Junglehrer zu coachen. Sie könnten mit uns zusammen irgendwelche Fächer unterrichten, das würde keine Rolle spielen. Wir älteren Lehrer durften auch alles unterrichten, was wir selber mal in der Schule gelernt hatten. Das wäre das Natürlichste in der Welt. Doch PH-Studenten stressen ja selber von Lektion zu Lektion, um ihr Soll zu erfüllen, und Praktikumsplätze, wo sie genau ihr Fächerprofil vorfinden, müssen erst noch erfunden werden.

Um es kurz zu sagen: Je mehr Gewicht man auf Hochschulabschlüsse und Fächerkompetenz legt, desto mehr geht die Menschlichkeit verloren. Wenn ein Kollege plötzlich nicht mehr unterrichten darf, weil ihm ein Diplom fehlt, dann verliert unsere Schule einen erfahrenen Pädagogen. Wenn man von qualifizierten Personen erwartet, dass sie sich für denselben Lohn nochmals neu qualifizieren, muss man damit rechnen, dass sie anderswo nach besseren Arbeitsbedingungen suchen. Wenn gute Lehrer für immer mehr strukturelle und administrative Aufgaben "verbraucht" werden, dan fehlen sie den Schülern und Studenten. Es findet schlicht und einfach weniger Bildung statt. Ist das unser politisches Ziel?

an Ursi Wegmann (und die verfechter von theorie über praxis oder praxis über theorie oder...)

Wer bin ich denn, als alternder bildungshandwerker und "element der menge der beulenpest der halbgebildeten" gegen Lichtenberger, Dewey und Popper anzutreten; auf dem glatteis der erkenntnis- und bildungstheorie sicher chancenlos, soviel ist sogar mir klar .

Wer hört denn hin, wenn ich dorfschullehrer dazu dennoch eine meinung habe?

Wer kann sich überhaupt vorstellen, dass eben gerade ein dorfschullehrer - um leistung zu erbringen - fundierte theorie für pädagogisches handeln sucht, studiert, sich damit auseinandersetzt, reflektiert... (Jeder gipser weiss, wei sein werkstoff bindet, bis auf atom- und molekülstufe geklärt) Und was wissen wir - die theoretiker wie die praktiker - über das lernen wirklich?! ich meine dezidiert wissen - behaupten gilt nicht, vermuten ist redlicherweise als solches auszuweisen!

Aus dem "grossen ballon der wissenschaftlich verbrämten heissluftansammlung" die wirklich schlüssigen thesen zu finden, genau das ist mE nur im dialog und diskurs zwischen jenen akademikern, welche die praxis nicht scheuen und jenen praktikern, welche sich rechenschaft über sinn und notwendigkeit der theorie geben und den offenen dialog auf augenhöhe suchen, möglich. Als praktiker und zusammen mit schülerInnen und eltern, umsetzer von konkreter schule im hier und jetzt (real existierende volksschule ;-) fühle ich mich von den theoretikern sachlich vernachlässigt. Mit der da und dort mitschwingenden geringschätzung kann ich leben, sie sagt mehr über den schätzenden als über mich "geringgeschätzten" (oder nich oder wohl oder doch?).

Bin ich eine unbequeme "interferenz" im sonst störungsarmen schwingungsfeld der reinen theorie, wenn die konkret erlebte herausforderung in der schulstube durch die theorie grad nicht abgedeckt ist und ich das moniere oder eine ganze theorie verwerfe, ein und für allemal? Wenn ich im laufe der jahre in der pädagogik gar modeströmungen erkennen kann - zeitverschoben um delta t (ca 5jahre) geknüpft an die wirtschaftskurve und parallellaufend zu politischen mehrheiten, hat sich pädagogik - oder zumidest deren "heissluftteil" offenbart in ihrer flachheit. In der physik gelten gesetzmässigkeiten - aus einer theorie herauskristallisiert - in bekannten oder zumindest annäherungsweise bekannten aber klar kommunizierten grenzen. In den geisteswissenschaften, sind gesetze, grenzbereiche etc überhaupt realistich? Ist wissenschaftlichkeit im engen wortsinne überhaupt möglich?

Der praxistest bleibt keiner theorie erspart. Wenn bereits ich als lehrer täglich im praxistest bestehen muss und will, habe ich überhaupt keinen nerv, wenn mir mit Lichtenberger, Dewey und Popper vor augen geführt wird, dass ich... ja worin denn eigentlich besteht meine unterlassung, meine schuld gar?

Praxistest 1: Die schweizer handwerker belegen seit jahren überproportional viele spitzenplätze bei den welt-berufsolympiaden; warum?, weil theorie und praxis offenbar da in bester balance ist, wo meisterlehre, berufsschule, angebot und nachfrage in einem dynamischen ausgleich immer wieder nach optimierung streben. Gerade der intensive praxisbezug wird als begründung für das quentchen wettbewerbsvorteil gegenüber japanern, koreanern etc angegeben. Die handwerker und techniker dort haben zu viel zeit, sich an colleges akademisch zu beschäftigen, was ihnen dann einen zweiten platz einbringt, weil der praxistest erst an der berufsolympiade wirklich und gnadenlos alle schwächen aufdeckt.

Praxistest 2: Hinter vorgehaltener hand kursiert seit jahren der immergleiche spruch: Ein Ing. HTL generiert pragmatische (0815) lösungen, ein Ing. ETH akademische (teure) und ein nicht-fachmann interessante, unvoreingenommene fragen. Jeder für sich generiert kaum mehrwert. Alle drei zusammen in zielgerichtetem streit um die wirklich bessere (im umfassenden sinne gemeint) lösung aber innovation, das was die Schweiz als wettbewerbsvorteil bei spitzentechnologien noch immer als trumpf ausspielen kann.

(Die PISA resultate der schweizer volksschule mit rund "1/4 anteil bildungsferner schichten" und um die 20% nicht sprachmächtigen (offiziell) resp 80% des deutschen nicht wirklich mächtigen; das mach uns mal einer vor/nach!)

Praxistest 3: Unser pädaprofessor wählte weiland ein beispiel aus der mathematik, um uns die theorie von "universalität versus feldabhängigkeit im denken" zu veranschaulichen. Dank der anschaulichkeit der gewählten geometrischen flächen (Rechteck, Rhomboid) war uns sein anliegen innert sekunden klar. Ihm unterlief aber der fehler, die einfache flächenberechnung (grundlinie mal höhe) als universalansatz nicht erkannt zu haben, weil er höhe mit seite gleichsetzte und so bei fehlender orthogonalität der zwei benachbarten seiten auf eine unzulässige flächenberechnung kam. Darauf aufmerksam gemacht, verlor er den tritt und wollte die sache überdenken (sein schönes beispiel retten?). Soweit so gut.
Warum ich es erwähne ist was hier folgt:
Er las in seinem theorie-didaktikbuch nach (wo genau derselbe fehler herkam) und verkündete in der folgenden lektion "er hätte recht gehabt¨". Mathematische fragestellungen in einem didaktikbuch nachzuprüfen, das ist fahrlässig, unakademisch und in höchstem masse methodisch entlarfend! Dass dieser hier an einem simplen beispiel von 7-klassmathematik vorgetragene und in der eigenen ausbildung an der universität erlebte denkfehler einem praktiker, der täglich in der praxis vor kritischen halbwüchsigen praktisch und handfest-korrekte inhalte vermitteln muss - eben damit zB berufsolympiaden weiterhin signifikant öfter von SchweizerInnen gewonnen werden - zu denken gibt, könnte für kommunikative theoretiker der einstiegpunkt zum fruchtbaren diskurs auf augenhöhe sein.

Seit 30 jahren unterrichtend begegnete ich:
> brillianten, engagierten und höchst menschlichen lehrpersonen, welche "nur" ein seminar und eine meisterlehre für die oberstufe durchlaufen haben
> brillianten, engagierten und höchst menschlichen lehrpersonen, welche "nur" knapp ihr kindergartensemi überstanden haben
> und vielen variationen bis hin zu personen, welche nun wirklich nicht zu kindern in eine schulstube gehörten,
sind mit unterschiedlichsten ausbildungsgängen, persönlichen voraussetzungen und und und ... auch erlebt und im team (über eine gewisse zeit) mitgetragen worden. Ob die PH abgängerInnen - welche nun graduell "die alten ersetzen" eine schliesslich bessere schule umsetzen werden, hängt mE zZ weit mehr von den extrapersonalen rahmen- und (verhinderungs-) gelingensbedingungen für die volksschule ab, als von der umgekrempelten lehrerbildung auf PH niveau.
Was wir mit der PH ausbildung aber sicher ausschliessen, sind die berufenen, brillianten pädagogInnen, die eine PH zulassung gar nicht erst schaffen.

Antwort an UW:

Marktvergrösserung: Sobald ein gemeinsamer Lehrplan für die ganze Deutschschweiz da ist, erübrigen sich kantonale Alleingänge. Insofern erweitert er sich eben doch, das ist aus verschiedener Hinsicht erfreulich.

Lehrmittelsituation: Im Kanton Zürich sind z.B. an Mittelstufe und Oberstufe im Bereich Deutsch (Sek: sehr aufwändig) Lehrmittel vorhanden, die sehr vielen Lehrpersonen wenig Hilfe für den Unterricht bieten. Das Unbehagen ist gross. Kommt dazu, dass im Zuge der Individualisierung und Integration Aufgabenstellungen und Arbeitshilfen wesentlich differenzierter sein müssten. Das Sek Lehrmittel hat also in mehrerer Hinsicht Erneuerungsbedarf und ist tatsächlich untauglich als Arbeitsinstrument. Da sind nicht nur einzelne Lehrerwünsche vorhanden sondern breit abgestützte Forderungen.

Ein privater Verlag ist nur insofern vom Staat abhängig, als er mit seinen Lehrmitteln die Lehrplanforderungen sowie (noch zu fixierende) Lehrmittelnormen zu erfüllen hat. Er hat kürzere Entscheidungswege und ein höheres Interesse Lehrmittel rasch an die Praxisbedürfnisse anzupassen. Die Lehrpersonen wählen dann dasjenige Lehrmittel, mit welchem sie die Lehrplanziele am besten erreichen können. Über die Tauglichkeit müssen die Umsetzer bestimmen.

Da die Lehrmittel für den Unterricht absolut zentral sind, wird sich mit ein wenig Konkurrenz einiges bewegen. Für echten Wettbewerb müssen aber zwangsläufig auch nichtstaatliche Anbieter Marktzugang haben.

Vielleicht erinnern Sie sich an das uralte Kinderlied:
"Wie maches dänn d'Schuelmeisterslüt
und eso maches sie's. Sie säged sie seiget uf der Hochschuel gsy,
doch im Unterricht schlafed ne Chinde i."

Genau: Da der Pädagoge alleine vor der Klasse steht, gehört bei ihm ein ganz besonderes Gewicht bei der Selbstreflektion.

Wie könnten diese Programme aussehen, des Selbst-Erkennens, resp. Selbst-Reflektierens? Wer spiegelt? Welche Fachpersonen, nicht aus dem Schulsystem, wäre da geeignet?

Meines Erachtens sollte die Ausbildung der Pädagogen unbedingt! verbindliche Psychologie-Segmente enthalten, wie zB im C.G Jung-Institut: Analytische Psychologie und Supervisions-gruppen. In der darin enthaltenden begleitenden persönlichen Analyse efahren die Teilnehmenden die Wirkung der analytischen Psychologie an sich selbst. Ebenso erhalten die Pädagogen Anleitungen, die eigene Wirkung durch Selbstprüfung kontinuierlich zu überprüfen.

Dies ist ein wichtiger Halt in der pädagogischen Person selbst, der dann bei den Kindern/Jugendlichen einfliessen kann.