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Wie einer begeisterten Lehrerin das Handwerk gelegt wird
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Meine Frau ist Heilpädagogin und übte diesen Beruf viele Jahre begeistert aus. Seit etwa 7 Jahren arbeitet sie integrativ in einer kleinen, ländlichen Zürcher Schulgemeinde. Heute denkt sie ans Aufhören. Wie ist es dazu gekommen?
Meine Frau ist einerseits als externe Mitarbeiterin im heilpädagogischen Kompetenzzentrum der Region angestellt und wird in die Klassen mit Unterstützungsbedarf geschickt, andererseits nimmt sie manchmal auch Aufträge unserer Schulgemeinde direkt an. Sie hat damit immer wieder zwei Arbeitgeber und hält so ein Stundenpensum von ca. 40%. Das Pensum wechselt je nach Auftragslage und es kommt immer wieder vor, dass unter dem Jahr ein beträchtlicher Brocken der Arbeit weg bricht, wenn z.B. ein Kind nicht länger integriert geschult werden kann und in eine Sonderschule wechseln muss.
Zermürbt haben meine Frau allerdings nicht diese Unwägbarkeiten ihres Einkommens. Fertig gemacht haben sie die Ansprüche der modernen Lehrertätigkeit: Leitbilder entwickeln, Teilnahme an Qualitätsveranstaltungen, Teamentwicklungen, Organisation von Elterngesprächen (mit Einbezug von Ärzten und Therapeuten), Protokollierung, umfangreiche halbjährliche Standortberichte, Portfolioführung, Ausfüllen der Kompetenzraster, Betreuung von Berufseinsteigerinnen, Erfüllen der Hausämter, Teilnahme an obligatorischen Konferenzen usw. Nur wenige dieser Veranstaltungen führen zu einem sichtbaren Nutzen für die Schulkinder; mehrheitlich dienen sie der Erfüllung von Auflagen oder aber als Bühne für Selbstinszenierungen von Experten, Schulleitern und Behördenmitgliedern. Beide Schulen sind nicht bereit, die Präsenz an diesen Anlässen für Teilzeitkräfte dem tatsächlichen Pensum anzupassen. So verbringt meine Frau heute, die eigentlich immer schon mit Kindern arbeiten möchte, mehr Zeit an ihrem Computer und in Sitzungen, als mit Unterrichten.
Als Aussenstehender habe ich im Verlauf der letzten Jahren folgende Beobachtungen gemacht: • Sowohl Integration als auch Individualisierung sind von einem gewaltigen Koordinationsaufwand begleitet. Es braucht unglaublich viele Absprachen zwischen den beteiligten Lehrpersonen, Therapeuten, Schulleitern und Eltern. Ganze Bundesordner Papier werden im Verlauf eines Schuljahres produziert. Wer liest das alles? • Trotz des gewaltig angeschwollenen Verwaltungstraktes steht meiner Frau für ihre Koordinationssitzungen kein Sekretariat zur Verfügung. Sie koordiniert die Sitzungsteilnehmer selber, führt selber die Sitzung und schreibt hinterher auch die Protokolle selber. Einzig die Verteilung erledigt die Verwaltung, allerdings längst nicht immer korrekt. • Meine Frau hat permanent das Gefühl, nicht genug zu leisten. Laufend zitiert sie Aussagen von Schulleitern und Behördenmitgliedern, welche die Reformvorgaben umsetzen und dabei immer noch mehr Einsatz von den Lehrpersonen verlangen. Ihr verzweifelter Kommentar: "Es ist einfach nie genug und es hört nie auf!" • Teilzeitkräfte sind nicht gerne gesehen, denn sie verursachen offenbar bloss Aufwand. Frau Aeppli möchte deshalb gern die Zahl der Teilzeitkräfte reduzieren. Wer sich nur ansatzweise überlegt, wie das mit den zerstückelten Pensen einer integrativen Heilpädagogin aussieht, erkennt, in welchem Dilemma diese Lehrkräfte stecken. • Die ursprüngliche Ausbildung meiner Frau wird vom Kanton Zürich bald nicht mehr anerkannt (vor der Bologna-Reform erworben, kein Update möglich). Sie hat die Option, ein mehrjähriges Vollzeitstudium zu machen oder in den Vorschulbereich auszuweichen. So sieht sie für sich also buchstäblich keine Zukunft mehr in der Zürcher Schullandschaft. Das Vollzeitstudium kommt als Mutter von schulpflichtigen Kindern nicht in Frage.
Mein vorläufiges Fazit: Die Zürcher Schulreform ist eine gezielte und systematische Demotivation der Lehrpersonen. Wie mit der Ressource "Lehrkraft" im Kanton Zürich umgesprungen wird, spottet jeder Beschreibung. Um meine Frau mache ich mir ernste Sorgen. Ihre Verzweiflung ist schwer zu ertragen.
Man lese hierzu auch das Interview "Wir müssen die Bürokratie zurückstutzen" mit Frau Aeppli im "Landboten" vom 28. Dez. 2009. (eingefügt durch den Admin.)
UBRreto
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