Zu folgendem Thema möchte ich eine Diskussion lancieren: Schülerzahlen in den Sek-Stufen, die damit verbundenen Probleme, und Modelle zur Lösung derselben. Ebenso wäre es wertvoll zu erfahren, was andere Schulen für Erfahrungen machen, mit ihrem Sek-Modell.
Hier die Situation: Immer mehr Eltern drängen auf eine Einstufung ihres Kindes in die Sek A. Wenn möglich gar ins Gymi. Bei uns sind über zwei Drittel der SchülerInnen zu Beginn der ersten Oberstufe im A. Davon müssen 10% bis 20% im Laufe der drei Jahre abgestuft werden. Das bedeutet erstens ein erneuter sozialer Wechsel im Leben des Kindes, zweitens ein Misserfolg, der demotiviert, drittens schrumpfen die A-Klassen und die B-Klassen werden immer grösser, viertens gibt es Unruhe in alle Klassen, und fünftens müssen wir uns den Vorwurf gefallen lassen, bei uns werde selten aufgestuft. Das wäre allerdings nicht so, wenn die Primarlehrer strenger beurteilen und vorsichtiger einstufen würden. Durchlässigkeit tönt zwar nett, sie veranlasst aber die Eltern, ihre Kinder auch nach dem Übertritt konstant unter Druck zu setzen, und verursacht damit bei den Kindern dauernde Angst, nicht zu genügen.
Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich mit den Gymi-Prüfungen und Rekursen, die erst kurz vor dem Sommer entschieden werden: Da wir eine relativ kleine Schule sind, reicht es nicht in allen Jahrgängen für vier Klassen. Die B- und C-Schüler zusammen ergeben aber schon vor erfolgten Abstufungen aus dem A eine recht grosse Klasse. Dieses Jahr entsteht nun die paradoxe Situation, dass wegen vier (!) Übertritten ins erste Gymi eine geplante 1.Klasse wieder gestrichen werden muss. Aber nicht etwa eine A- sondern eine B/C-Klasse. Das entbehrt jeder Logik! So beginnen wir also voraussichtlich die erste Klasse mit 24 B-Schülern, bis im November könnten es schon 28 sein, und die Gymi-Schüler, welche nach der Probezeit zurückkehren, werden daran wohl auch nichts mehr ändern. Bestenfalls erhalten wir dann einige Entlastungsstunden für den geplagten B-Lehrer und seine benachteiligte Klasse.
Das Resultat dieser Politik: Die B- und C- Klassen verlieren weiter an Attraktivität, das Niveau sinkt, der Unterricht wird immer schwieriger, und es profitieren nur die stärksten Schüler und Schülerinnen.
Ebenso pikant: Wie können wir die strenge Separation von A, B und C weiterhin rechtfertigen, wenn erstens gar nicht immer so klar ist, wer wohin gehört, zweitens die Eltern mit dem besten Rechtsanwalt und Nachhilfelehrer am ehesten recht bekommen, drittens von überall her der Ruf nach Integration ertönt, und viertens die Primarlehrer faktisch die C-Stufe abschaffen können, indem sie alle ihre Schüler ins A und ins B einteilen? Und sollte tatsächlich die Sek C aussterben, wie sieht es dann mit der Integration aus? Sind dafür einfach die B-Lehrer zuständig? Oder könnten sich die A-Lehrer auch vorstellen, Schüler mit Teilleistungsschwächen und/oder Verhaltensauffälligkeiten in ihren Klassen mitzutragen? Seien wir doch realistisch: Gibt es Probleme, so leiden zuallererst die Leistungen. Daraus ergibt sich als erste Massnahme die Abstufung. Und wenns dann immer noch nicht bessert, sieht man sich nach anderen Massnahmen um. Wenn in einer kleinen Schule nur eine B-Klasse pro Jahrgang geführt werden kann, so sind alle Schüler mit Schwierigkeiten - egal welcher Art - in derselben (übergrossen) Klasse. Keine gute Voraussetzung für optimales Lernen. Oder?
Wer hat Lösungsvorschläge? Was ist heute schon möglich? Wie machen das andere kleine Gemeinden? Welches sind die Erfahrungen? Wie offen und flexibel ist die BiD für innovative Ideen? Kann man ein ganzes Lehrerteam für neue Formen gewinnen? Was ist die Zukunft der Sekundarschule?
Ich versuche unser Bildungswesen insgesamt zu überblicken und nehme folgendes wahr:
1. Das Bildungswesen ist geprägt von einem massiven, wahrscheinlich stark vom rasanten technischen Fortschritt beeinflussten Machbarkeits- und Qualifikationswahn und einer geradezu börsianischen Überbewertung seiner Bedeutung einerseits und einer Überproduktion auf der Seite des staatlichen Angebots anderseits. Bildung und Weiterbildung werden zu einem schwer durchschaubaren Popanz oder Fetisch, denn: aus heisser Lernluft soll ja offenbar Gold (Rohstoff Bildung!) werden! Unter völlig überhöhten und abgehobenen Bildungszielen, Anforderungen und Qualifikationskriterien – einer Neuer Mensch muss entstehen! - leiden beide Seiten, Lehrer wie Schüler, und zwar mit durchaus erkennbaren Folgen für deren physische und psychische Gesundheit.
2. Wofür Schule? Darüber wird kaum mehr gründlich, realistisch und mit bon sens nachgedacht. Stattdessen wird zuviel geforscht, konzipiert, normiert und dadurch verkompliziert, wodurch das Eigentliche, die Sache und der Sinn für das Wesen der Bildung des Menschen, ganz unauffällig verschwindet. Die staatliche Schule kann und soll nur einen kleinen Beitrag zur Weiterentwicklung der Gesellschaft leisten. Sie soll einen teils objektiv vorgegebenen teils von der Lehrerpersönlichkeit eingebrachten Kanon von Wissen – besonders auch von Orientierungswissen – vermitteln, durchaus im Sinne des heutzutage kaum noch ausserhalb der Werbung anzutreffenden Begriffs der Tradition (vgl. lat. tradere = übergeben). Den Rest besorgen dann Natur durch Erfahrung sowie Familie und Gesellschaft.
3. Bildungsforschung, Bildungspolitik und Bildungsverwaltung demontierten in den letzten ungefähr 20 Jahren durch unzählige Wellen zunächst von sogenannten „Schulversuchen“, dann aber von unüberlegten systematischen Bildungsreformen (eigentlich kleinen Kulturrevolutionen!) die Schule als einigermassen einfach und klar strukturierte Institution sowie die Stellung des Lehrers (Funktionsbezeichnung!), der auch sprachlich zur Lehrperson bzw. zum Lehrenden (Partizip Präsens bzw. zum Ausgelernten befördert?!) wurde. Desorientierung (durchaus auch der Verantwortlichen), Nivellierung, sinnlose Differenzierung und relativ schlechte Resultate waren die Folge.
Was ist zu tun?
Mehr Realismus (statt Hyperaktivismus) sowie eine Vereinfachung und Verwesentlichung im öffentlichen Bildungswesen sind dringend nötig. Das würde nicht nur zur besseren Erreichung der Schulziele beitragen, es hätte auch volkswirtschaftlich positive Konsequenzen, und ganz wichtig: ein solcher Prozess käme auch einer wichtigen Rehumanisierung der Schule zugute, indem Schüler wie Lehrer wieder Raum zum Atmen, intuitiven Wahrnehmen und zur persönlichen Entwicklung bekämen, den die Beteiligten auch frei – nicht nur als „Auszubildende“, sondern als Menschen! - nutzen könnten.
Ideologische pädagogische Konzepte sind zu ersetzen durch Bildung nicht gegen die Natur, sondern mit der Natur, will heissen unter Ausnutzung der hauptsächlichen allgemeinmenschlichen Entwicklungskräfte insbesondere z.B. bei einer kohärenteren Gestaltung der Lehrpläne für die verschiedenen Schulstufen und Schultypen (z.B. verbindliches Sammeln unregelmässiger französischer Verbformen schon in der Primarschule, hingegen wissenschaftliches Arbeiten erst auf der Hochschulstufe und nicht in der Berufsschule, höchstens versuchsweise im Gymnasium!) Und schliesslich: Wenn man zum Schluss käme, die ausserschulische Wissensvermittlung führe zu einer Beschleunigung des Lernprozesses in der Jugend, dann müsste auch über eine Verkürzung der Schulzeit nachgedacht werden dürfen; auch das Problem der gegenwärtig grassierenden – und im Grunde zermürbenden und unproduktiven! - Auf- und Abstufungshysterie dürfte möglicherweise mutige und kreative Lösungen erfordern, denn in die Schulzeit eines jungen Menschen fällt ja bekanntlich auch eine gewaltige körperliche und geistige Entwicklung …
Und zum Schluss: Um alldies zu erreichen, muss die Schule aus den Fängen der ideologischen Trias aus Bildungsforschung, Bildungspolitik und Bildungsverwaltung (dem Wohlfahrtsausschuss der Bildungsdirektoren!) befreit werden, wozu es allenfalls unabhängiger und vorurteilsloser Geister aus diesen Bereichen durchaus bedarf z.B. der Gründer und vieler Beiträger dieses Forums!