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Lehrplan 21
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Thema 2: Der LP ist überladen
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Thema 2: Der LP ist überladen
Die Auswahl der Kompetenzen und deren Definition sind im Allgemeinen zufriedenstellend ausgefallen. Mit einer bis ins Detail geregelten Bildungssteuerung schiesst der Lehrplan jedoch eindeutig übers Ziel der von der Verfassung vorgeschriebenen Harmonisierung hinaus. Auch werden zu viele Grundanforderungen verbindlich festgeschrieben. Wir stellen bei der Konkretisierung der Bildungsziele fest, dass die Menge der Kompetenz-Erwartungen und der damit verknüpften Lerninhalte in einem deutlichen Gegensatz zu den überzeugenden Leitlinien stehen.
Die grosse Zahl von Kompetenzzielen im zweiten und dritten Zyklus des Lehrplans 21 setzt Schüler und Lehrpersonen unter einen hektischen Dauerdruck. Kompetenzen können nicht einfach so erworben werden, sie sind an Inhalte gekoppelt.
Bei einer Überfülle an Kompetenzerwartungen werden künftige Lehrmittel mit verbindlichen Inhalten vollgestopft, statt dass wesentliche Inhalte exemplarisch mit der nötigen Gründlichkeit aufbereitet werden. Es fehlt die Musse, dass sich die Schüler in zentrale Bereiche vertiefen und Elementares wirklich verstehen können. Zudem braucht das Üben viel mehr Zeit, als sich manche Didaktiker vorstellen. Der Lehrplan soll das Wesentliche regeln, auch inhaltlich, und nicht bis ins Detail alles bestimmen wollen.
Lehrpersonen brauchen Gestaltungsspielraum, um den doch sehr verschiedenen und heterogenen Klassen gerecht werden zu können. Mit einigen Klassen kommt man deutlich weiter, und gute Schüler werden auch Freude an einem erweiterten Schulprogramm haben. Aber bitte nicht zu viele Ziele für alle! Lehrmittel sollen einen verbindlichen Pflichtstoff mit zugeordneten Kompetenzen als roten Faden aufnehmen und die erweiterten Anforderungen als Auswahlstoff anbieten. Man könnte mit andern Worten von einem Pflicht- und Kürprogramm sprechen. Keiner begabten Schülerin soll ein tolles Kürprogramm verwehrt werden. Dieses erweiterte Angebot darf aber nicht zur Pflichtübung für alle werden.
Meine Forderung lautet: Streicht das Kompetenzenprogramm in den lebenskundlichen Fächern (Naturwissenschaften, Geografie, Geschichte) auf rund die Hälfte zusammen und schafft Abwahlmöglichkeiten bei den Fremdsprachen. Auch bei andern Bereichen bis hin zur Mathematik ist der Rotstift bei einigen Themen anzusetzen.
Eine verbindliche Harmonisierung in der Deutschschweizer Bildungslandschaft wird nur gelingen, wenn mit Augenmass koordiniert wird und eine gewisse inhaltliche Gestaltungsfreiheit der Lehrpersonen respektiert wird. Lehrpersonen mit ihren individuellen Stärken sollen in ihrem Unterricht nach wie vor eigene Bildungsschwerpunkte setzen können und nicht primär zu Ausführenden einer planwirtschaftlichen angehauchten Output-Steuerung werden.
Wenn alle im Lehrplan aufgeführten Kompetenzziele erreicht oder zumindest "durchgenommen" werden müssen, bleibt die Gestaltungsfreiheit der Lehrerinnen und Lehrer auf der Strecke. Wollen wir wirklich eine Schule, wo alles nach einem von oben festgelegten Programm abläuft? Nichts gegen eine vernünftige Koordination der wichtigsten Bildungsziele, aber diese detaillierten Dreijahrespläne mit verordnetem Output gehen zu weit.
Ich wundere mich schon, dass die meisten Lehrpersonen gar nicht merken, was für sie auf dem Spiel steht. Ich bezweifle auch, dass sich die Lehrplanverantwortlichen über die negativen Folgen einer dominanten Steuerung der Volksschulbildung voll bewusst sind. Umso entscheidender ist es, dass über das Mass an gestalterischer Freiheit an unseren Schulen offen diskutiert wird.
Das fachübergreifende Thema Berufliche Orientierung, das "auf der Sekundarstufe I ein zentrales Thema" darstellt, ist mit sage und schreibe total nur 39 Lektionen dotiert, dafür aber durch 34 Kompetenzen gesegnet worden. Macht 0,87 Kompetenzen/Lektion, und dies fachübergreifend. Darunter solche wie: - "Schüler und Schülerinnen können eigene biografische Prägungen und Erwartungen ihres Umfeldes zum Beruf reflektieren und geschlechtsspezifische und kulturelle Sterotypen hinterfragen und dazu eine eigenständige Position vertreten." oder etwa - "Schülerinnen und Schüler können bei Schwierigkeiten ressourcenorientiert Lösungen entwickeln."
Es ist dringend nötig, dass aus diesem Wunschplan einer abgehobenen Kaste ein abgespeckter und verständlicher Lehrplan für Lehrende und Lernende (samt ihren Eltern) wird.
Für wen ist eigentlich der neue Lehrplan geschrieben worden?
Für rührige Bildungspolitiker mit ehrgeizigen Zielen oder für Erziehungswissenschafter, die im Elfenbeinturm leben? Nein, höre ich da sagen, der Lehrplan richte sich in erster Linie an die Lehrmittelverlage. Der Lehrplan schaffe mit der Aufzählung der verbindlichen Kompetenzen das Grundgerüst für die meisten Lehrmittel. Das kann ja heiter werden!
Ich frage mich, wieweit Lehrpersonen und Mitglieder von Schulpflegen als Adressaten für den Lehrplan angesprochen werden. Wenn ich die furchtbar abstrakten Definitionen einiger Kompetenzziele lese, löscht es mir schon fast ab. Ich bin überzeugt, dass es noch vielen Schulpraktikern und Schulpflegern so geht.
Ist das der Zweck eines Lehrplans, dass die Hauptakteure des Bildungswesens den Lehrplan kopfschüttelnd zur Seite legen? Stehe ich allein da mit dieser beunruhigenden Vorstellung?
Wenn es mit diesem Lehrplan gleich geht wie mit dem bisherigen: Er wird in meinem Schulzimmer auf einem Gestell - vermutlich weit oben - stehen und dort verstauben. Mit dem kleinen Unterschied, dass er noch mehr Platz beansprucht. - Für Schulpraktiker irgwend wie an der Realität vorbei konzipiert.
Ein Lehrplan, der von uns Lehrerinnen und Lehrern gar nicht konsultiert wird, erfüllt seinen Zweck nicht. Ganz sicher aber wird ein solch nutzloses Theoriegebäude den Graben zwischen den Lehrpersonen und den Bildungstheoretikern weiter vertiefen. Dieser Graben ist ja jetzt schon recht tief.
Warum macht man zum x-ten Mal eine grossangekündigte "Verbesserung" unserer Volksschule, um dann festzustellen, dass diese Reform in der Praxis kaum jemand will? Sind Bildungspolitiker in ihrer Mehrzahl eigentlich taub für die zentralen Fragen der Schulpraxis?
Immer wieder wird gesagt, die Lehrer seien ja bei der Entwicklung des Lehrplans dabei gewesen. Auch wenn dies stimmt, muss ich nun zur Kenntnis nehmen, dass der Lehrplan so nicht brauchbar ist. Liebe engagierte Kollegen, macht euch nochmals an die Arbeit und bringt die Anliegen aus der Praxis besser ein. Wir wollen keinen Katalog mit Hunderten von hoch komplizierten Kompetenzzielen, sondern in erster Linie verbindliche Inhalte und genügend Freiraum für das Gestalten des nicht verplanten eigenen Unterrichts.