Nachdem nun langjährige Versuche ergeben haben, dass der Kindergarten dem Modell von Basis- und Grundstufe ebenbürtig ist, plädiere ich für den guten alten Kindergarten. Alle neueren Schulmodelle jeglicher Altersstufe tendieren ganz bewusst darauf, in der Schule die Zäsuren abzuschaffen. Die Kinder dürfen nicht mehr wahrnehmen, ob sie jetzt eigentlich im Kindergarten oder in der Schule sind. Man will den Schülern auch nicht zumuten, zu wissen, ob sie in einer Realschule mit Betonung auf berufspraktischen Fächern oder in einer Sekundarschule sind, die andere und in gewisser Hinsicht eben auch höhere Anforderungen stellt.
Vorschul- und Schuljahre zerfliessen zu einem undefinierbaren Brei, in welchem weder Eltern erkennen, woran sie mit ihren Kindern sind, noch die Schüler wissen, wohin sie eigentlich gehören. Das ist ein Mangel an Wahrhaftigkeit und im Grunde ein Etikettenschwindel. Auch im Leben, wofür das Kind ja lernt, sind die Übergänge nicht immer fliessend, sondern sprunghaft. Warum soll der angehende Erstklässler nicht auch seinen Stolz haben, wenn er vom Kindergarten in die Schule wechseln kann? Warum vertuscht man denn, dass Schüler unterschiedliche Begabungen haben und daher kontinuierlich jenen Unterricht geniessen sollten, in welchem sie in Ruhe arbeiten können, später erfolgreich den Sprung in die Arbeitswelt schaffen, eine Lehre beginnen oder in eine höhere Schule übertreten können?
Im Tagi vom 25.10 erschien ein Leserbrief zur Abstimmung über die Prima-Initiative (siehe Link unten). Darin wird in den höchsten Tönen für die Grundstufe geworben, und man könnte meinen, soeben sei das Ei des Kolumbus erfunden worden. Aber wie es so geht bei einer Anfangsbegeisterung für eine Sache – man lässt sich leicht von vermeintlichen Vorteilen blenden, Einwände von Skeptikern werden übersehen und die Euphorie überstrahlt alles.
Leider aber sieht es mit dieser Grundstufe in der Praxis ganz anders aus. Eine Studie der Bildungsdirektion hat nämlich ergeben, dass gewisse Vorteile beim Können der Kinder einer Grundstufe im Vergleich zu jenen eines Kindergartens bereits in der dritten Klasse wieder komplett verschwunden sind, das heisst, es wurde offiziell festgestellt, dass die Grundstufe gegenüber dem Kindergarten keinerlei Vorteile aufweist.
Im Gegenteil: Das neue System mit einer Grundstufe würde eine enorme finanzielle Mehrbelastung von Gemeinden und Kanton bringen; es wird mit zusätzlichen Kosten von jährlich etwa 60 Millionen (!) gegenüber dem heutigen Kindergarten gerechnet. Wenigstens kurz antönen hätte die Leserbriefschreiberin diese Faktoren vielleicht schon dürfen, aber es steht eben noch etwas anderes im Hintergrund.
Diese Leserin ist Geschäftsführerin des Vereins „Chance Volkschule“, welcher die Mundartinitative vehement bekämpft hatte und dann jedoch eine Niederlage einstecken musste. Jetzt wittert man dort offenbar Morgenluft, dem Dialekt via Grundstufe vielleicht trotzdem noch zu Leibe rücken zu können. Es ist zu hoffen, dass die Stimmberechtigten mit zweimal Nein zur Prima-Initiative auf diesen fiesen Dreh nicht hereinfallen und dem bei uns ausgezeichnet funktionierenden Kindergarten die Treue halten.
Bei der Evaluation über die Grundstufe ist die Entwicklung von Kindergruppen mit 1 1/2 Lehrpersonen mit dem Kindergarten verglichen worden, wo pro Gruppe lediglich 1 Person wirksam ist. So gesehen gibt das Resultat noch mehr zu denken: Das Kindergartenkonzept ist offensichtlich dem Grundstufenkonzept noch deutlicher überlegen als Bildungspolitiker wahrhaben wollen. Ist das wohl der Grund für die mangelnde öffentliche Diskussion dieses wichtigen Themas?
Wie man eine offensichtlich unausgegorene Sache der Schule unterzujubeln versucht, ist auch daran zu erkennen, dass man beim Gegenvorschlag angibt, die Gemeinden könnten entscheiden. In Tat und Wahrheit sind es die Gemeindebehörden. Über jede Wasserleitung stimmt bei uns die Gemeindeversammlung ab, über eine Strukturveränderung in der Volksschule erhalten die Bürger lediglich die Mitteilung einer Behörde. Es lebe dir direkte Demokratie!